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Der längste Straßentunnel der Welt

Der längste Straßentunnel der Welt

Der längste Straßentunnel der Welt

VON EINEM ERWACHET!-MITARBEITER IN NORWEGEN

DER Westen Norwegens ist bekannt für seine beeindruckenden Berge und Fjorde, die bisher jeden Besucher begeistert haben. Außerdem zeugen die engen, kurvenreichen Straßen und die zahllosen Tunnel vom Erfindungsgeist der Ingenieure. In dieser Gegend wurde vor einiger Zeit ein Tunnel fertig gestellt, der seinesgleichen sucht. Die Rede ist vom Lærdaltunnel, dem längsten Straßentunnel der Welt. Dieses Meisterwerk der Bautechnik führt unglaubliche 24,5 Kilometer weit durch den Fels! Bereits wenige Minuten nach der Einfahrt in den Tunnel hat man mehr als 1 000 Meter Felsen über sich.

Warum wurde ein Tunnel dieser Länge benötigt? Er ist ein wichtiger Teil der Hauptverbindung zwischen den zwei größten Städten Norwegens, nämlich der östlich gelegenen Hauptstadt Oslo und der Stadt Bergen an der Westküste. Doch im Winter sind die Gebirgsstraßen zwischen diesen Städten aufgrund von Schnee und Wind schwer befahrbar. Deshalb benötigte man dringend eine neue Verbindung, die auch bei schlechtem Wetter frei bleibt. So beschloss das norwegische Parlament 1992, die neue Straße durch einen Tunnel zwischen den beiden Ortschaften Aurland und Lærdal zu führen. Nach fünf Jahren Bauzeit wurde der Tunnel im November 2000 offiziell für den Verkehr freigegeben. Wie wurde dieses Meisterwerk gebaut? Wie sicher ist der Tunnel? Wie fühlt man sich beim Hindurchfahren? Wenden wir uns zuerst der baulichen Seite zu.

Kein leichtes Bauprojekt

Mit den Bauarbeiten für den Tunnel, der Lærdal und Aurland verbindet, wurde an drei verschiedenen Stellen gleichzeitig begonnen. Jeweils eine Mannschaft begann an den Tunnelenden; eine dritte Gruppe legte einen 2 Kilometer langen Entlüftungsstollen an, der ungefähr 6,5 Kilometer hinter dem Lærdaleingang in den Haupttunnel münden sollte. Wie gelang es den drei Bohrteams, sich tief im Berg an der richtigen Stelle zu treffen? Die genauen Ausgangspunkte jeder Mannschaft wurden mithilfe von Satellitennavigationssystemen berechnet, während die Bohrungsrichtung durch Laserstrahlen angezeigt wurde. Auch die Bohrmaschinen, die die Löcher für Sprengladungen an exakt den richtigen Stellen bohren sollten, waren lasergesteuert.

Für jede Sprengung mussten ungefähr 100 Löcher von je 5,2 Meter Tiefe gebohrt werden. Diese Löcher füllte man mit etwa 500 Kilogramm Sprengstoff, und nach jeder Sprengung entstanden rund 500 Kubikmeter gebrochener Fels. Lastwagen transportierten die Gesteinsbrocken ab. Bevor für die nächste Sprengung neue Löcher gebohrt werden konnten, mussten die Decke und die Wände des Tunnels verstärkt werden. Zu diesem Zweck verwendete man lange Felsanker aus Stahl und verkleidete die Felsoberflächen mit faserverstärktem Spritzbeton. Wöchentlich kamen die Mannschaften 60 bis 70 Meter voran. Im September 1999 fand schließlich der Durchstich statt: Als die beiden Teams im Haupttunnel aufeinander trafen, betrug die Abweichung lediglich 52 Zentimeter. 14 Monate später konnte der Tunnel planmäßig freigegeben werden. Bis dahin beliefen sich die Kosten für den Tunnel auf etwa 140 Millionen Euro.

Wie funktioniert die Belüftung?

Die Frage der Luftversorgung stellt Tunnelbauingenieure immer wieder vor eine Herausforderung. Bei einer Fahrzeit von ungefähr 20 Minuten kommt es im Lærdaltunnel ganz besonders auf ausreichend saubere Atemluft an. Wie wurde das erreicht?

Etwa 6,5 Kilometer hinter dem Lærdaleingang zweigt der 2 Kilometer lange Entlüftungsstollen ab. Dieser Nebentunnel dient als Abzug und führt in ein nahe gelegenes Tal. Während von beiden Seiten Frischluft in den Haupttunnel gesaugt wird, gelangt die verschmutzte Luft durch den Entlüftungsstollen nach draußen. In diesem Stollen sind zwei riesige Ventilatoren installiert, die zusammen stündlich bis zu 1,7 Millionen Kubikmeter Luft bewegen können. Mit ihrer Hilfe kann der Luftstrom bei starker Belastung erhöht werden. Dieses System sorgt allerdings vor allem auf der Lærdalseite des Tunnels für die nötige Frischluft; für die längere Aurlandseite musste man sich noch mehr einfallen lassen. Deshalb wurden an der Tunneldecke 32 kleinere Impulsgebläse angebracht, die die Luft stärker in Richtung Entlüftungsstollen strömen lassen. Auf dem weiten Weg von der Aurlandseite bis zum Entlüftungsstollen wird die Luft allerdings immer schlechter. Wie wurde das Problem gelöst?

Man baute eine Luftreinigungsanlage und installierte sie 9,5 Kilometer hinter dem Aurlandeingang in einer etwa 100 Meter langen Röhre, die parallel zum Haupttunnel verläuft und an beiden Enden mit ihm verbunden ist. Die Luft aus dem Haupttunnel wird in diese parallele Tunnelröhre umgeleitet, wo bis zu 90 Prozent des Staubs und des Stickstoffdioxids entfernt werden.

Dank seiner Belüftungs- und Luftreinigungsanlagen können stündlich problemlos bis zu 400 Fahrzeuge den Tunnel nutzen. Im Inneren überwachen Sensoren die Luftqualität und regulieren die Be- und Entlüftung. Bei zu hoher Verschmutzung werden die Zufahrten für den Verkehr geschlossen, was bisher jedoch nicht nötig war.

Wie sicher?

Viele haben ein ungutes Gefühl, wenn sie durch einen Tunnel fahren. Angesichts dessen und aufgrund der schweren Unfälle und Brände in verschiedenen europäischen Tunnels wurde beim Lærdaltunnel besonderer Wert auf Sicherheit gelegt. Was wurde für die Sicherheit im Tunnel getan?

Sämtliche Sicherheitssysteme des Tunnels werden ständig von einem Kontrollzentrum in Lærdal überwacht. Bei Sicherheitsbedenken wird der Tunnel geschlossen. Dank zahlreicher Sicherheitsvorkehrungen kann der Tunnel schnell gesperrt und evakuiert werden. Außerdem gibt es alle 250 Meter eine Notrufeinrichtung und alle 125 Meter zwei Feuerlöscher. Das Kontrollzentrum registriert automatisch, wo ein Feuerlöscher aus der Halterung genommen wird. Sobald der Löscher entfernt wird, schalten die Ampeln an den Eingängen auf Rot; bereits im Tunnel befindliche Fahrzeuge werden durch entsprechende Lichtsignale von der Gefahrenstelle weggeführt und auf dem sichersten Weg hinausgeleitet. Alle 500 Meter sind Wendemöglichkeiten für Pkw vorgesehen; für Lkw gibt es insgesamt 15 Wendeplätze. Außerdem können die Fahrer dank einer tunneleigenen Antennenanlage über ihr Autoradio informiert werden. Das Fahrzeugaufkommen im Tunnel wird automatisch gezählt und mit Kameras überwacht. Angesichts der relativ geringen Verkehrsdichte stuft die Verkehrsbehörde den Sicherheitsstandard als sehr hoch ein.

Ein anderes Fahrgefühl — Warum?

Wie fühlt man sich bei der Durchfahrt? Ein wichtiges Ziel der Planer war, die Fahrt durch den Tunnel zu einem angenehmen Erlebnis zu machen, damit sich die Fahrer sicher fühlen und auch sicher fahren. Um dies zu erreichen, gestaltete man das Tunnelinnere mithilfe eines Fahrsimulators und zog unter anderem die Verkehrspsychologen eines Forschungsinstituts sowie professionelle Lichtgestalter zurate.

Mit welchem Ergebnis? Beispielsweise verläuft der Tunnel nicht ganz gerade. Leichte Kurven sollen Schläfrigkeit vorbeugen, dennoch können die Fahrer etwa einen Kilometer weit nach vorn blicken. Durch die Kurven lässt sich die Entfernung zu entgegenkommenden Fahrzeugen auch besser einschätzen. Außerdem unterbrechen drei große Hallen die Monotonie der Fahrt. So meint man, nicht durch einen einzigen langen Tunnel zu fahren, sondern durch vier kurze. In Bodennähe sind diese Kavernen gelb und grün ausgeleuchtet und weiter oben blau, wodurch die Illusion einfallenden Tageslichts und eines Sonnenaufgangs entsteht. Diese Effekte sowie die gute Ausleuchtung der Tunnelstrecke geben den meisten Fahrern ein sicheres Gefühl.

Jetzt können sich Reisende das einzigartige Erlebnis gönnen, durch den längsten Straßentunnel der Welt zu fahren. Dieses technische Meisterwerk ermöglicht eine zuverlässige Verbindung zwischen dem Osten und dem Westen Norwegens. Außerdem zeigt dieser Tunnel deutlich, was der Mensch erreichen kann, wenn er sein Können und seinen Erfindungsgeist nützlich gebraucht.

[Diagramm/Bild auf Seite 25]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Tunnelverlauf

Lærdal ← → Aurland

[Diagramm/Bild auf Seite 27]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Der Lærdaltunnel

Hauptstraßen

↑ Nach Lærdal

→ Die E16 nach Oslo

* Standort der Impulsgebläse

Strömungsrichtung der Luft

Kaverne

Entlüftungsstollen → Ventilatorstation

*

Kaverne

*

Luftreinigungsanlage

*

Kaverne

*

*

Strömungsrichtung der Luft

Aurland

↓ E16 nach Bergen

1 Meile

1 Kilometer

[Nachweis]

Statens vegvesen, Sogn og Fjordane

[Karte auf Seite 24]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

NORWEGEN

Lærdaltunnel

Bergen E16 OSLO

[Bild auf Seite 25]

Lærdaleingang

[Bild auf Seite 25]

Schema der Luftreinigungsanlage

[Bild auf Seite 25]

Tunnelquerschnitt mit Felsankern in den Wänden und in der Decke

[Bild auf Seite 26]

Der Tunnel verfügt über etwa 100 Notrufeinrichtungen und fast 400 Feuerlöscher

[Bild auf Seite 26]

Es gibt drei solche Kavernen mit besonderen Lichteffekten

[Bildnachweis auf Seite 24]

Luftbild: Leiv Bergum; Luftreinigungsanlage: ViaNova A/S; alle anderen Fotos auf den Seiten 24 bis 26: Statens vegvesen, Sogn og Fjordane