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Jugendliche: Auf dem Weg zum Erwachsenen

Jugendliche: Auf dem Weg zum Erwachsenen

Jugendliche: Auf dem Weg zum Erwachsenen

WIE ergeht es einem Reisenden, der von einer tropischen Insel direkt zum Polarkreis fliegt? Beim ersten Schritt aus dem Flugzeug merkt er, wie ihm die Kälte entgegenschlägt. Wird er es schaffen, sich umzustellen? Wenn er sich etwas anpasst, bestimmt.

So ungefähr ergeht es Eltern, wenn aus ihren Kindern Jugendliche werden. Es ist, als würde das Klima über Nacht umschlagen. Der Junge, der seinem Vater nie von der Seite wich, ist auf einmal lieber mit Gleichaltrigen zusammen. Das Mädchen, das es sonst kaum abwarten konnte, seiner Mutter zu erzählen, was es tagsüber erlebt hat, antwortet nur noch im Telegrammstil:

„Wie war es in der Schule?“

„Gut.“

Schweigen.

„Beschäftigt dich irgendwas?“

„Nö.“

Noch mehr Schweigen.

Was ist passiert? Bis vor Kurzem „hatten Sie quasi einen Backstageausweis für das Leben Ihres Kindes“, so zwei 16-jährige Autorinnen. „Heute bekommen Sie bestenfalls einen Platz irgendwo im Publikum, und auch das wahrscheinlich nur in der letzten Reihe“ (Breaking the Code).

Müssen sich Eltern damit abfinden, so auf Distanz gehalten zu werden? Auf keinen Fall. Eltern können sogar in dieser Zeit Zugang zu ihren Kindern behalten — vorausgesetzt, sie verstehen, was in dieser faszinierenden und oftmals turbulenten Entwicklungsphase abläuft.

Sie sind keine Kinder mehr

Früher dachte man, die Gehirnentwicklung des Kindes sei mit fünf Jahren so gut wie abgeschlossen. Heute sagt man, dass das zwar weitgehend auf die Größe des Gehirns zutrifft, aber nicht auf seine Funktion. Mit der Pubertät wird bei jungen Leuten eine hormonelle Revolution ausgelöst, die ihr ganzes Denken umkrempelt. Ein Beispiel: Während Kinder die Dinge meist konkret wahrnehmen, sozusagen in schwarz und weiß, denken Jugendliche eher abstrakt und wägen ab, was hinter einer Sache steckt (1. Korinther 13:11). Sie entwickeln Überzeugungen und halten damit selten hinter dem Berg.

Paolo (Italien) hat genau das beobachtet: „Wenn ich mir meinen Sohn mit seinen 15 Jahren so ansehe, habe ich nicht mehr das Gefühl, ein Kind vor mir zu haben, sondern einen jungen Mann. Ich meine nicht nur vom Äußeren her, sondern vor allem, wie er jetzt denkt. Er hat überhaupt keine Scheu, seine Ansichten zu äußern und sie zu verteidigen!“

Das kommt vielen Eltern bestimmt bekannt vor. Früher hat ihr Kind vielleicht ohne Probleme gehorcht. Ein einfaches „Weil ich das sage!“ war ihm Erklärung genug. Doch der Jugendliche will Gründe genannt bekommen und stellt womöglich sogar die Wertvorstellungen seiner Eltern infrage. Manchmal tritt er dabei so energisch auf, dass es schon aufsässig wirkt.

Es wäre falsch, jetzt vorschnell zu schlussfolgern, der Jugendliche wolle alle elterlichen Werte über Bord werfen. Vielleicht bemüht er sich ja wirklich, sie zu übernehmen, und sucht in seinem eigenen Leben nur noch den richtigen Platz dafür. Zur Verdeutlichung: Jemand zieht um und nimmt seine Möbel mit. Findet er in der neuen Wohnung für jedes einzelne Stück sofort einen Platz? Wohl kaum. Aber deshalb wirft er ein Möbelstück, das ihm viel bedeutet, doch nicht gleich weg.

Einem Jugendlichen, der eines Tages „seinen Vater und seine Mutter verlassen“ wird, geht es nicht viel anders (1. Mose 2:24). Natürlich hat er bis dahin noch ein ganzes Stück Weg vor sich, immerhin ist er ja noch nicht erwachsen. Aber er hat gewissermaßen schon angefangen zu packen: Die nächsten Jahre prüft er die Wertvorstellungen, mit denen er aufgewachsen ist, und entscheidet, welche er ins Erwachsenenleben mitnehmen wird. *

Bei diesem Gedanken wird manchen Eltern ganz anders zumute. Aber soviel ist sicher: Wenn der Jugendliche den Schritt ins Erwachsenenleben macht, wird er nur an den Werten festhalten, die ihm selbst etwas bedeuten. Deshalb nimmt er die Prinzipien, nach denen er leben wird, gründlich unter die Lupe — und zwar jetzt, während er noch zu Hause wohnt (Apostelgeschichte 17:11).

Warum ist das gut für seine Entwicklung? Wer die Ansichten seiner Eltern nie hinterfragt, neigt eher dazu, Ansichten anderer Leute ebenso unkritisch zu übernehmen (2. Mose 23:2). Wie leicht solche Jugendlichen getäuscht werden können, schildert die Bibel am Beispiel eines jungen Mannes, „dem es an Herz mangelte“ — eine Wendung, die unter anderem fehlendes Urteilsvermögen bedeutet (Sprüche 7:7). Ein junger Mensch ohne Überzeugungen kann „wie von Wellen umhergeworfen und von jedem Wind der Lehre hierhin und dorthin getrieben werden durch das Trugspiel der Menschen“ (Epheser 4:14).

Wie können Eltern verhindern, dass es ihrem Kind so ergeht? Hier drei Grundpfeiler einer guten Vorbereitung auf das Leben als Erwachsener.

1 URTEILSFÄHIGKEIT

Der Apostel Paulus wies darauf hin, dass reife Menschen dank ihrer gut geschulten Urteilsfähigkeit zwischen Recht und Unrecht unterscheiden können (Hebräer 5:14). „Aber ich habe meinem Kind doch von klein auf beigebracht, was richtig und was falsch ist“, wird mancher sagen. Das war damals zweifellos genau das Richtige und hat das Kind gut auf die nächste Entwicklungsphase vorbereitet (2. Timotheus 3:14). Paulus aber sprach von der Notwendigkeit, seine Urteilsfähigkeit auszubilden. Während man Kindern lediglich das Wissen vermitteln kann, was richtig und falsch ist, sollten Jugendliche „Erwachsene an Verständnisvermögen“ werden, also lernen, ihren Verstand zu gebrauchen (1. Korinther 14:20; Sprüche 1:4; 2:11). Die wenigsten Eltern wollen, dass ihr Teenager ihnen einfach blind gehorcht. Wie können sie ihm helfen, sich selbst von dem zu überzeugen, was richtig ist? (Römer 12:1, 2).

Zuerst einmal muss er sich frei äußern können — ohne unterbrochen zu werden und ohne Angst, dass seine Eltern überreagieren, auch wenn er etwas sagt, was sie lieber nicht gehört hätten. Die Bibel rät: „Jeder Mensch soll schnell sein zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn“ (Jakobus 1:19; Sprüche 18:13). Jesus erklärte, warum: „Aus der Fülle des Herzens redet der Mund“ (Matthäus 12:34). Nur wer gut zuhört, kann herausfinden, was einen Jugendlichen wirklich beschäftigt.

Sind die Eltern an der Reihe, fahren sie oft besser damit, Fragen zu stellen, als ihm ihre Meinung direkt ins Gesicht zu sagen. Wollte Jesus jemanden aus der Reserve locken, ob seine Jünger oder etwas sture Zeitgenossen, fragte er manchmal einfach „Was denkt ihr?“ (Matthäus 21:23, 28). Bei einem Jugendlichen kann man ähnlich vorgehen, selbst wenn er eine Ansicht äußert, mit der man nicht gerechnet hat. Ein Beispiel:

Der Jugendliche sagt: „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt an Gott glauben kann.“

Statt zu erwidern: „Was haben wir dir denn beigebracht?! Natürlich glaubst du an Gott!“

. . . könnte man fragen: „Warum denkst du so?“

Warum nachfragen? Weil man sonst nur hört, was der Jugendliche sagt, aber noch nicht weiß, was er wirklich denkt (Sprüche 20:5). Vielleicht hat er ja eher ein Problem mit Gottes Maßstäben als mit seiner Existenz.

Manchmal versuchen Jugendliche, Gott aus ihrem Denken auszublenden, weil sie sich unter Druck gesetzt fühlen, seine Moralvorschriften zu übertreten (Psalm 14:1). Nach dem Motto: „Wenn es keinen Gott gibt, brauche ich auch nicht nach der Bibel zu leben.“

In diesem Fall sollte sich der Jugendliche mit der Frage auseinandersetzen: „Glaube ich denn, dass Gottes Maßstäbe gut für mich sind?“ (Jesaja 48:17, 18). Ist er davon überzeugt, kann man ihm klarmachen, dass es sich für ihn lohnt, dafür auch einzustehen (Galater 5:1).

Oder der Jugendliche sagt: „Das ist vielleicht eure Religion, aber nicht unbedingt meine.“

Statt zu erwidern: „Das ist unsere Religion, du bist unser Kind, und du wirst gefälligst das glauben, was wir dir sagen.“

. . . könnte man sagen: „Das sind ziemlich harte Worte. Du hast bestimmt was Besseres gefunden, wenn dir mein Glaube nicht gefällt. Also, woran glaubst du? Welche Maßstäbe sollten denn gelten, wenn es nach dir ginge?“

Warum nachfragen? Weil man ihm dadurch hilft, sein eigenes Denken zu hinterfragen. Vielleicht stellt er ja erstaunt fest, dass er eigentlich dasselbe glaubt wie seine Eltern und sein Problem in Wirklichkeit ganz woanders liegt.

Möglicherweise weiß er nur nicht, wie er anderen seine Glaubensansichten erklären soll (Kolosser 4:6; 1. Petrus 3:15). Oder er hat sich in jemanden verguckt, der nicht seinen Glauben teilt. Wie auch immer, wichtig ist, dass nicht nur die Eltern erkennen, was das eigentliche Problem ist, sondern auch der Jugendliche. Je öfter er Gelegenheit hat, seine Urteilsfähigkeit zu schärfen, desto besser wird er als Erwachsener zurechtkommen.

2 ORIENTIERUNG AN ERWACHSENEN

Eine Sturm-und-Drang-Phase, die nach Ansicht einiger Psychologen fester Bestandteil der Teenagerjahre sein soll, lässt sich in manchen Kulturen kaum oder gar nicht nachweisen. Interessanterweise werden junge Leute in diesen Gesellschaften vergleichsweise früh in die Welt der Erwachsenen integriert. Sie arbeiten mit Erwachsenen, verbringen ihre freie Zeit mit Erwachsenen und übernehmen Verantwortung wie Erwachsene. Begriffe wie „Jugendkultur“, „Jugendkriminalität“ und sogar „Jugend“ oder „Adoleszenz“ sind dort unbekannt.

In vielen Ländern herrscht ein ganz anderes Bild: Hier werden junge Menschen in überfüllte Schulen gepfercht, wo sie hauptsächlich dem Einfluss anderer Jugendlicher ausgesetzt sind. Kommen sie nach Hause, ist niemand da. Beide Eltern arbeiten und die Verwandten sind weit weg. Wer bleibt übrig? Eigentlich nur Gleichaltrige. * Die Nachteile liegen auf der Hand. Jugendliche müssen noch nicht einmal an die falschen Leute geraten. Wie Jugendforscher herausgefunden haben, lassen sich selbst mustergültige junge Leute auf verantwortungsloses Verhalten ein, wenn sie keinen Anschluss an die Welt der Erwachsenen haben.

Ein Beispiel für eine Gesellschaft, die Jugendliche nicht isolierte, war das alte Israel. Die Bibel berichtet von Usija, der schon mit 16 Jahren König von Juda wurde. Wie schaffte er es, dieser großen Verantwortung gerecht zu werden? Das hatte er offenbar zumindest teilweise dem Einfluss eines Erwachsenen zu verdanken: Sacharja, dem „Unterweiser in der Furcht des wahren Gottes“ (2. Chronika 26:5).

„Wer mit Weisen wandelt, wird weise werden“, sagt die Bibel in Sprüche 13:20. Eine Frage für Eltern: Hat unser Kind einen oder mehrere erwachsene Freunde, von denen es sich etwas sagen lässt und die ihm die gleichen Werte vermitteln wie wir? Das wäre kein Grund zum Neid, denn der Jugendliche kann davon nur profitieren.

3 VERANTWORTUNG ÜBERTRAGEN

In etlichen Ländern ist gesetzlich geregelt, wie viele Stunden junge Leute maximal pro Woche arbeiten dürfen und welche Arbeiten für sie überhaupt nicht infrage kommen. Diese Gesetze wurden erlassen, um Kinder vor gefährlichen Arbeitsbedingungen zu schützen — eine Folge der industriellen Revolution im 18. und 19. Jahrhundert.

Nach Ansicht mancher Fachleute bieten Gesetze gegen Kinderarbeit einerseits zwar einen notwendigen Schutz vor Gefahren und Ausbeutung, hindern Heranwachsende aber andererseits daran, Verantwortung zu übernehmen. Wie zwei Psychologen schreiben, entwickeln viele Jugendliche „ein mürrisches Anspruchsdenken, als stehe es ihnen förmlich zu, alles zu bekommen, ohne dafür auch nur einen Finger krumm zu machen. Dieses Denken scheint eine fast natürliche Reaktion auf das Leben in einer Welt zu sein, die viel stärker darauf gepolt ist, Jugendliche zu unterhalten, als irgendetwas von ihnen zu fordern“ (Escaping the Endless Adolescence).

Die Bibel dagegen berichtet von jungen Leuten, die schon früh große Verantwortung übernahmen. So auch Timotheus, der wahrscheinlich noch ein Teenager war, als er den Apostel Paulus kennenlernte — einen Mann, der ihn stark prägte. Später forderte Paulus ihn auf, „die Gabe Gottes“, die er hatte, „wie ein Feuer anzufachen“, also sich voll und ganz für die Aufgabe einzusetzen, die ihm anvertraut wurde (2. Timotheus 1:6). Mit Anfang 20 oder sogar früher verließ Timotheus sein Elternhaus und begleitete Paulus auf seinen Reisen, auf denen sie Versammlungen gründeten und ihre Glaubensbrüder ermunterten und stärkten. Nach etwa 10 Jahren, in denen Timotheus ihm treu zur Seite stand, schrieb Paulus an die Christen in Philippi: „Ich habe sonst niemand, der die gleiche Einstellung hat wie er und sich mit echter Sorge um die euch betreffenden Dinge kümmern wird“ (Philipper 2:20).

Viele Jugendliche würden liebend gern Verantwortung übernehmen, vor allem, wenn man ihnen etwas Sinnvolles zu tun gibt und sie ein Erfolgserlebnis haben können. Das bereitet sie nicht nur darauf vor, verantwortungsvolle Erwachsene zu werden, es hilft ihnen auch, jetzt schon ihr eigenes Potenzial zu entdecken.

Sich dem neuen „Klima“ anpassen

Wie eingangs erwähnt: Wer jugendliche Kinder hat, kennt wahrscheinlich das Gefühl, auf einmal in einem ganz anderen „Klima“ gelandet zu sein als noch vor wenigen Jahren. Doch wer es geschafft hat, sich auf die vorherigen Entwicklungsphasen einzustellen, wird auch diesen „Klimawechsel“ meistern.

Die Teenagerjahre bieten Eltern große Chancen: In dieser Zeit kann der Jugendliche 1. seine Urteilsfähigkeit entwickeln, 2. sich an Erwachsenen orientieren und 3. lernen, Verantwortung zu übernehmen. So vorbereitet, kann das Erwachsenenleben kommen!

[Fußnoten]

^ Abs. 17 Ein Ratgeber bezeichnet die Jugendzeit passend als „einen einzigen langen Abschied“. Siehe dazu auch den Wachtturm vom 1. Mai 2009, Seite 10—12.

^ Abs. 38 Die Unterhaltungsindustrie profitiert davon, dass junge Leute gern unter sich sind und fördert gezielt die Vorstellung von einer jugendlichen Subkultur, die Erwachsene nicht verstehen und in der sie auch nicht erwünscht sind.

[Kasten/Bild auf Seite 20]

„ICH KANN MIR KEINE BESSEREN ELTERN VORSTELLEN“

Zeugen Jehovas möchten, dass ihre Kinder nach biblischen Prinzipien leben (Epheser 6:4). Sie leiten sie darin an und versuchen, ihnen Vorbild zu sein, zwingen sie aber nicht dazu. Ihnen ist bewusst, dass ihre Söhne und Töchter eines Tages selbst entscheiden müssen, welche Werte in ihrem Leben zählen.

Aislyn (18) findet die Werte, mit denen sie aufgewachsen ist, gut. Sie erzählt: „Für mich heißt Glaube nicht, nur an einem bestimmten Wochentag etwas dafür zu tun; für mich ist das ein Lebensweg. Er beeinflusst alles, was ich tue und entscheide — welche Freunde ich mir suche, welche Kurse ich belege und welche Bücher ich lese.“

Aislyn schätzt ihre christliche Erziehung über alles. „Ich kann mir keine besseren Eltern vorstellen, und ich bin so froh, dass sie in mir den Wunsch geweckt haben, eine Zeugin Jehovas zu sein und zu bleiben. Ich werde mein Leben lang schätzen, was sie mir mitgegeben haben.“

[Bild auf Seite 17]

Zuhören, zuhören, zuhören!

[Bild auf Seite 18]

Erwachsene Freunde bieten Jugendlichen wertvolle Orientierung

[Bild auf Seite 19]

Durch sinnvolle Aufgaben lernen Jugendliche, Verantwortung zu übernehmen